SYNÄSTHESIE / IDEAESTHESIE
Von Dimitri Chrissomallis
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(Stand 24.02.2024)
01. EINLEITUNG UND GRUNDBEGRIFFE
SYNÄSTHESIE
Der Name Synästhesie stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „Zusammen-Wahrnehmung“ oder „Zusammen-Gefühl“. Hierbei handelt es sich um ein neurophysiologisches Phänomen, bei dem eine Person eine Sinneswahrnehmung erlebt, die nicht durch den üblichen sensorischen Reiz ausgelöst wird. Zum Beispiel würden die meisten Menschen Musik nur hören, Personen mit einer entsprechenden Synästhesie haben dazu aber ein visuelles Erleben, wie Farben oder Formen. Andere können ein Gemälde nicht nur sehen, sondern haben vielleicht dazu noch eine Geruchs- oder Geschmacksempfindung, oder ein Körpergefühl. Eine Synästhesie ist also eine außergewöhnliche Wahrnehmungskopplung.
IDEAESTHESIE
Bei näherer Betrachtung vieler Synästhesien stellt man fest, dass es eigentlich nicht die reinen sensorischen Reize sind, welche das synästhetische Erleben auslösen, sondern oft bestimmte kulturelle Artefakte, wie Musik, Kunst, Buchstaben, Zahlen oder Ordnungssysteme. Eine Person, die also z.B. beim Hören von Musik einen Geschmackseindruck wahrnimmt, tut dies meistens nicht bei anderen Höreindrücken, wie Motoren, Stimmen, Blätterrauschen, Regen etc.. Es ist also nicht so sehr das Hören an sich, welches den Geschmack auslöst, sondern vielmehr die Idee von Musik. Bei anderen Synästhesien sind es sogar ausschließlich abstrakte Konstrukte wie Zahlen oder Wochentage. Der neuere aber leider sehr sperrige Begriff der Ideaesthesie beschreibt darum das Phänomen treffender. Synästhesie ist jedoch derzeit der geläufigere Ausdruck, weswegen er auch im weiteren Textverlauf verwendet wird.
SYNÄSTHET, SYNÄSTHETIN
Zur Bezeichnung synästhesiebegabter Personen wird in der Community die Bezeichnung Synästhetin oder Synästhet bevorzugt. Die Bezeichnung Synästhetiker oder Synästhetikerin wird in der Regel abgelehnt, da sie zu sehr nach (im übrigen veralteten und diskriminierenden) medizinisch-diagnostischen Begriffen wie Asthmatiker oder Epileptiker klingt. Synästhesie ist indes kein Störungs- oder Krankheitsbild, sondern eine für die Person in der Regel genussvolle oder sogar gewinnbringende Eigenschaft im Spektrum von Neurodiversität. Es sollte darum im Kontext von synästhesiebegabten Personen auch nicht von Betroffenen gesprochen werden. Genauso wenig ist das Bemerken, dass jemand eine Synästhesie hat eine Diagnose und synästhetische Wahrnehmungen sind keine Symptome.
INDUCER, CONCURRENT UND NAMENSGEBUNG
Den Reiz, der eine Synästhesie auslöst, nennt man Inducer (engl.: to induce = veranlassen, einleiten, hervorbringen), die damit verbundene synästhetische Wahrnehmung den Concurrent (engl.: to concur = zusammenfallen).
Bei der korrekten Bezeichnung einer Synästhesie nennt man an erster Stelle den Inducer, dann den Concurrent. Wenn also beim Hören von Klängen (z.B. Musik) Farben wahrgenommen werden, spricht man von Klang-Farb-Synästhesie. Für manche Formen haben sich aber auch griffigere Namen oder Abkürzungen etabliert.
KRITERIEN FÜR SYNÄSTHESIE
Synästhesien sind unwillkürlich, d.h. die synästhesiebegabte Person kann sie nicht willentlich grundsätzlich abstellen. Durch Konzentrationsübungen können sie aber vielleicht zeitweise ausgeblendet werden. Manche Formen sind jedoch eher unaufdringlich und für die Person so selbstverständlich mit dem eigenen Denken verwoben, dass sie kaum oder gar nicht wahrgenommen werden. Wenn eine Synästhesie wahrgenommen wird, gehen die Personen in der Regel davon aus, dass alle anderen diese Wahrnehmung auch haben. Viele Menschen sind sich darum auch gar nicht bewusst, dass sie eine Synästhesie haben, und dass dies etwas sehr Seltenes und Besonderes ist.
Die Synästhesiebegabung ist angeboren. Allerdings muss die Person erst mit dem induzierenden Artefakt in Kontakt kommen. Wenn also jemand Buchstaben farbig sieht, dann manifestiert sich diese Synästhesie erst, wenn die Person lesen und schreiben lernt. Synästhet:innen berichten in der Regel, dass die Synästhesie schon immer da war. Erwachsene, die plötzlich eine Synästhesie neu an sich wahrnehmen, haben diese wahrscheinlich vorher einfach nicht bemerkt. Grund kann die hintergründige Unaufdringlichkeit mancher Wahrnehmungen oder aber auch Stress sein. Tiefe Entspannung kann ebenfalls das Wahrnehmen einer Synästhesie auch überhaupt erst ermöglichen.
Weiterhin sind Synästhesien konstant. d.h. wenn eine Person Buchstaben farbig sieht, dann ist das A nicht heute rot und in sechs Monaten blau. Die Farben bleiben für die Person über die gesamte Lebensspanne gleich.
PROJIZIERTE UND ASSOZIIERTE SYNÄSTHESIEN
Manche Synästhet:innen, die Buchstaben farbig wahrnehmen, erleben die Farben auf dem Papier. Ein Blatt mit Text, das für andere nur schwarz-weiß ist, sehen sie in bunt. Sie projizieren also ihre Wahrnehmung in die Umgebung, in diesem Fall auf das Blatt Papier. Man spricht deshalb von einer projizierenden oder projizierten Synästhesie.
Andere Synästhet:innen mit dieser Synästhesieform sehen den Text auf dem Papier genauso schwarz-weiß, wie die meisten Menschen. Die Farbwahrnehmung wird aber im Kopf hinzugefügt. Sie sehen diese also nicht in der Umgebung, sondern nur auf ihrem inneren Monitor, vor ihrem geistigen Auge. Manche beschreiben, dass sie einfach um die Farbe des Buchstaben wissen. Diese Art der Wahrnehmung nennt man assoziierende oder assoziierte Synästhesie.
Menschen mit mehreren Synästhesieformen können gleichzeitig projizierte und assoziierte Formen haben.
VIELZAHL VON SYNÄSTHESIEN
Die Angaben darüber, wie viele verschiedene Arten von Synästhesien es gibt, schwanken je nach Quelle erheblich. Es wird aber in der Regel von 70 ausgegangen. Aber auch Auflistungen von 100 oder mehr soll es geben. Wie kommt das zustande?
Bei einer Synästhesie kann grundsätzlich jeder der fünf Sinne mit jedem der vier anderen verknüpft sein. Allein daraus ergäben sich schon mindestens 20 verschiedene Synästhesieformen. Wie aber im Abschnitt über Ideaesthesie dargelegt wurde, kann eine Synästhesie, die z.B. durch auditive Reize ausgelöst, auf sehr unterschiedliche und spezielle Arten von Geräuschen reagieren. Manche werden durch Musik, andere durch Tierlaute, wieder andere nur durch menschliche Stimmen induziert. Für jeden der fünf Sinne ergeben sich darum diverse mögliche spezielle Unterformen. Hinzu kommen die Synästhesien, die durch die zahlreichen abstrakten Artefakte, wie Wochentage oder Maßeinheiten, erzeugt werden. Auch die Art der Zählung wirkt sich aus. Wenn z.B. eine Person beim Erleben von Schmerzen Farben sieht, eine andere aber beim Erleben eines Orgasmus, handelt es sich dann um zwei verschiedene Arten von Synästhesie oder fasst man diese als eine Form, z.B. Körpersensation-Farb-Synästhesie zusammen?
Weiterhin werden immer mehr Wahrnehmungsphänomene von der Forschung als Synästhesie erkannt und in den Katalog der vielen Formen aufgenommen.
HÄUFIGKEIT VON SYNÄSTHESIE
Über die Jahrzehnte hinweg wurden die Zahlen durch die Forschung fortlaufend nach oben korrigiert. Während man in den 70-er Jahren noch davon ausging, dass Synästhesie ein außerordentlich seltenes Phänomen ist und nur eine Person von tausend betrifft, lautet die letzte von der Wissenschaft validierte Zahl 4% der Bevölkerung. Dies hat damit zu tun, dass heutzutage Wahrnehmungsbesonderheiten gesellschaftlich immer mehr akzeptiert und weniger pathologisiert werden. Es trauen sich deshalb immer mehr Menschen offen über ihr Erleben zu sprechen.
Inzwischen ist klar, dass das Spektrum der Synästhesien von sehr außergewöhnlichen und seltenen bis hin zu sehr verbreiteten Formen reicht. Im Zusammenhang mit einigen Synästhesien wurde darum diskutiert, wo die Grenze zwischen Synästhesie als einem seltenen Wahrnehmungsphänomen und einer eher normalen Variante menschlicher Wahrnehmung verläuft. Inzwischen ist geklärt, dass es sich bei einigen jüngst diskutierten Formen um genuine Synästhesien handelt und klar ist auch, dass allein diese sehr viel häufiger sind, als die bisher angenommenen 4%. In den nächsten Jahren wird die Wissenschaft die Zahlen also sicherlich erneut deutlich nach oben anpassen. Wir können inzwischen davon ausgehen, dass in jedem Klassenzimmer Kinder und Jugendliche mit sehr speziellen synästhetischen Wahrnehmungsbegabungen sitzen.
02. HÄUFIGE UND BEKANNTE ARTEN VON SYNÄSTHESIE
Jede bekannte Art von Synästhesie aufzulisten, würde den Rahmen dieser Webseite sprengen. Auf Webseiten wie www.daysyn.com oder www.thesynesthesiatree.com findet man annähernd vollständige Aufzählungen. An dieser Stelle seien nur einige besonders häufige oder bekannte Arten beschrieben.
GRAPHEM-FARB-SYNÄSTHESIE
Hierbei handelt es sich um die vielleicht bekannteste Synästhesie, die oft auch als erklärendes Beispiel für Synästhesie an sich angeführt wird. Bei dieser Ideaesthesie werden Buchstaben, Zahlen und andere Grapheme farbig wahrgenommen, unabhängig davon, in welcher Farbe sie dargestellt sind. In der projizierten Variante sehen die Personen die Farben auf dem Papier oder dem Bildschirm, auf dem gelesen wird. Die Farbe wird dort vielleicht als ein das Graphem umrahmender Farbschatten wahrgenommen. Assoziierende Synästhet:innen sehen die Farben nur mental vor ihrem geistigen Auge. In beiden Fällen wird die Farbe als emotional untrennbar mit dem Graphem verbunden erlebt, als sei sie eine dem Zeichen innewohnende Qualität. Sieht jemand also sein A in rot, so kann er sich das A schlecht in einer anderen Farbe vorstellen. Die Aussage, das A sei blau, wird dann als falsch erlebt. Welcher Buchstabe in welcher Farbe wahrgenommen wird, variiert von Person zu Person sehr stark.
Auch ganze Wörter können eine synästhetische Farbe haben. Diese wird oft von der Farbe des Anfangsbuchstabens beeinflusst. Ist also z.B. das D für eine Person dunkelblau, so kann ein Name, der mit D beginnt die gleiche Farbe haben oder aber auch blau in einem anderen Farbton. Die Farbe als zusätzliches Kodierungsmerkmal kann helfen, sich Namen oder Fachbegriffe besser zu merken.
SEQUENZ-RAUM-SYNÄSTHESIE
auch NUMBER-LINE oder KALENDER-SYNÄSTHESIE
Menschen mit Sequenz-Raum-Synästhesie nehmen Reihenfolgen, Einheiten und Ordnungssysteme in räumlich-visuellen Anordnungen wahr. Zahlen haben zum Beispiel eine feste Position im dreidimensionalen Raum um die Person herum (projiziert) oder vor dem inneren Auge (assoziiert). Bei manchen sind die Anordnungen sehr symmetrisch aufgeräumt und tabellarisch, bei anderen sind sie sehr kreativ und unsystematisch willkürlich.
Bei der Sequenz-Raum-Synästhesie gibt es mehrere bekannte Unterformen. Eine lineare Art der Zahlenwahrnehmung nennt man auch Number-Line. Werden Jahreszahlen, Monate, Wochentage, autobiographische oder historische Daten räumlich-visuell wahrgenommen, spricht man auch von einer Kalender-Synästhesie. Für Kalendermonate und Wochentage ist die Visualisierung in Kreisen oder Ellipsen sehr verbreitet. Der Zeitverlauf kann dabei mit dem oder gegen den Uhrzeigersinn gehen. Manche Menschen mit Kalender-Synästhesie berichten davon, dass sie die Wahrnehmung für einzelne Tage, Wochen oder Monate als eine Art Kalenderblatt visualisieren können, auf dem sie eine Art mentale Markierung hinterlassen, anhand derer sie sich Termine, Geburtstage und andere Ereignisse eintragen und sich dadurch mit erhöhter Wahrscheinlichkeit an diese erinnern.
Menschen mit ausgeprägter Sequenz-Raum-Synästhesie können auch viele andere Sequenzen und Konstrukte wahrnehmen, seien es Einheiten von Geschwindigkeiten, Längenmaßen, Gewichten, Temperaturen, Schuhgrößen, Aggregatzuständen, Schwangerschaftsmonaten, Kampfsport-Gürtelgraden, musikalischen Tempi, der Einteilung in Unter-, Mittel- und Oberstufe, binären Vorgängen wie Einatmen und Ausatmen usw.
TICKER-TAPE-SYNÄSTHESIE
Das Ticker-Tape ist in TV-Nachrichtensendungen das laufende Textband am unteren Bildschirmrand, auf dem z.B. Börsenkurse und Schlagzeilen zu lesen sind. Wenn Ticker-Tape-Synästhet:innen ein Gespräch führen oder einen Text lesen, sehen sie die gesprochenen oder gelesenen Worte in einer Art Textband vor dem geistigen Auge mitlaufen. Manche berichten davon, dass verschiedene Personen unterschiedliche Schrifttypen haben. Bei anderen ist diese Synästhesie mit einer Gefühl-Farb-Synästhesie gekoppelt und sie berichten beispielsweise, dass sie die Schrift einer Person in einer bestimmten Farbe sehen, die sich ändert, je nachdem wie es dem Gegenüber geht. Bei guter Empathie und Intuition kann die Ticker-Tape-Synästhesie helfen, die Befindlichkeit von Personen sehr zielgenau einschätzen zu können. Andererseits berichten Personen auch davon, in Gesprächen oder beim Lesen schnell zu ermüden, weil es kognitiv sehr anstrengend ist, die Schrift auf der Buchseite und die im Ticker-Tape gleichzeitig wahrzunehmen und vielleicht die unterschiedlichen Schriften im Kopf zu einem einheitlichen Bild zusammen zu bringen.
GRAPHEM-PERSONIFIKATION-SYNÄSTHESIE
auch ORDINAL-LINGUISTISCHE-PERSONIFIKATION (OLP)
Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine Ideaesthesie, bei der eine Person z.B. Buchstaben oder Zahlen personifiziert. Wenn sie über ihre Zahlenwahrnehmung spricht, sagt sie vielleicht, dass die Eins ein kleiner spitzbübischer Junge ist, der die anderen immer ärgert, die Zwei eine liebe Oma, die für die anderen immer Kekse backt etc.. Die Auswahl der Figuren kann beliebig oder auch thematisch sein, so dass die Zahlen mit Charakteren aus einem Weltraum-Science-Fiction Szenario, aus der Alltagswelt, der Tierwelt oder aus einem Fantasy-Ritter-Burgen-Thema gebildet werden. Ich kenne auch eine Person, der sich Zahlen als Landschaftsbilder darstellen.
Die personifizierten Zahlen und Buchstaben können auch interagieren. Die so erlebten Geschichten und Szenarien, wie auch die Personifikationen an sich können helfen, sich z.B. Zahlenfolgen besser zu merken. Andererseits können sie aber auch kognitiv ermüden, wenn sie sich beim Lesen oder Rechnen aufdrängen und ausgeblendet werden müssen.
LEXIKAL-GUSTATORISCHE-SYNÄSTHESIE
Bei Personen mit dieser Synästhesie lösen Wörter, Namen oder der Klang von Sprachen einen Geschmackseindruck aus. Dabei haben die Synästhet:innen keinen Einfluss darauf, um welchen es sich handelt. Dies kann einen erheblichen Einfluss auf ihr Leben haben. Wenn eine Sprache, der Name einer Stadt oder einer Person einen stark aversiven Geschmack, z.B. von Erbrochenem, auslösen, dann wird die Motivation, dies zu vermeiden sehr groß sein. Die Person kommt dann vielleicht als Partner nicht in Frage, die Sprache wird nicht gelernt und der Wohnort oder die Reise in eine Stadt nicht in Betracht gezogen. Das kann durchaus großen Einfluss auf Karrieren und Lebensentwürfe haben.
Ein prominenter Synästhet mit dieser Form ist der Synästhesie-Forscher James Wannerton. Er ist der Urheber der synästhetischen London-Tube-Map, bei welcher er den Namen der Londoner U-Bahnstationen seinen damit verbundenen Geschmackseindruck hinzugefügt hat. Die Karte lässt sich im Internet finden. In einer Podcastfolge berichtete James Wannerton auch davon, dass seine dauernden Geschmackseindrücke seine Verdauung permanent anregen, was für ihn mit häufigen Magenbeschwerden einhergeht. (Podcast: Let`s talk Synesthesia, von und mit Maike Preissing, Folge 02)
KLANG-FARB-SYNÄSTHESIE
auch CHROMAESTHESIE oder FARBENHÖREN
Wenn Klänge, Musik oder Naturgeräusche bei einer Person Farbeindrücke auslösen, spricht man von Klang-Farb-Synästhesie. Für manche Synästhet:innen haben bestimmte Töne Farben oder auch die Klänge bestimmter Lieder oder einzelner Instrumente. Die Farben können sich als wolkige Farbverläufe, klar abgrenzbare geometrische Formen und Körper oder als eine Art Feuerwerk darstellen. Klang-Farb-Synästhet:innen beschreiben ihre Wahrnehmungen oft als sehr genussvoll.
MIRROR-TOUCH-SYNÄSTHESIE
Sieht eine Person mit Mirror-Touch-Synästhesie eine körperliche Einwirkung bei anderen, so nimmt sie diese sensorisch am eigenen Körper wahr. Kratzt sich beispielsweise jemand an der linken Wange, so wird z.B. das Gefühl eines kratzenden Fingers im eigenen Gesicht erlebt, obwohl man selbst gar nicht berührt wird. Die Wahrnehmung kann dabei spiegelsymmetrisch an der eigenen rechten Wange oder auch drehsymmetrisch an der linken erfolgen.
Für die Personen kann diese Synästhesie so intensiv sein, dass Gewaltfilme als unerträglich erlebt und grundsätzlich gemieden werden. Andererseits verfügen sie oft über ein großes Einfühlungsvermögen.
Das Erleben der Mirror-Touch-Synästhet:innen kann eine derart reale Qualität haben, dass sie die innere Überzeugung haben, die tatsächlichen Gefühle der anderen Person wahrzunehmen. Vielmehr aber handelt es sich jedoch um ein Konstrukt des eigenen Gehirns, da die Synästhesie oft auch beim Anschauen von Gewaltszenen in Filmen auftritt, bei denen die Schauspieler:innen keine wirklichen Schmerzen erleiden, sondern diese nur darstellen.
ABSOLUTES GEHÖR
Absolutes Gehör bezeichnet die Fähigkeit die exakte Frequenz eines Tones wahrzunehmen. Menschen ohne diese Fähigkeit benötigen dazu ein Messgerät. Musiker:innen mit absolutem Gehör können z.B. ihr Instrument ohne Stimmgerät und ohne Referenzton eines anderen Instrumentes stimmen. Was auf der einen Seite wie eine tolle Fähigkeit klingt, bringt andererseits mit sich, dass Musiker mit dieser Synästhesie-Form viel höhere Ansprüche an exakte Stimmung haben, während für andere das Instrument bereits längst sauber gestimmt klingt. Auch kleine Ungenauigkeiten können den Musikgenuss dann stark trüben, was die Synästhet:innen entsprechend oft erleben.
PERSON-FARB-SYNÄSTHESIE
auch AURASEHEN oder EMOTIONALLY-MEDIATED-SYNESTHESIA
So wie Grapheme oder Klänge ein Farberleben auslösen können, so geschieht dies bei Person-Farb-Synästhet:innen durch andere Menschen. In der projizierten Form nehmen sie die Farbe z.B. als einen Schimmer, eine „Aura“ um eine Person herum wahr. Da viele Personen nicht wissen, dass es sich bei dieser Fähigkeit um eine Synästhesie handelt, wird sie oft als eine übersinnliche Fähigkeit und die Farbe als tatsächliche spirituelle Farbe einer Person fehlgedeutet. Aber auch hier handelt es sich um das persönliche Konstrukt der synästhesiebegabten Person. Für den einen erscheint die Aura einer Person blau, für jemand anderen rot. Ausgelöst wird die Synästhesie oft durch die Gefühle, welche der oder die Synästhet:in der Person gegenüber hat. Unbekannten Personen, zu denen keine besondere Gefühlsbindung besteht, haben oft keine synästhetische Farbe.
SYNÄSTHESIEN DER KÖRPERWAHRNEHMUNG UND DES GEFÜHLS
Emotionen und Körperwahrnehmungen können in den verschiedensten Formen sowohl als Inducer, als auch als Concurrent auftreten. Auch innerhalb der Synästhesiefamilie gelten sie als selten. Öfter genannt werden sensorische Wahrnehmungen oder Gefühle, wie Wohlbefinden oder Schmerz, die einen Farb- oder Geschmackseindruck auslösen. Manchmal ist die Synästhesie beschränkt auf ein sehr spezielles körperliches Erleben, wie z.B. bei der Orgasmus-Farb-Synästhesie. Hier löst also ein körperlicher Zustand eine visuelle Wahrnehmung aus. In einem entgegen gesetzten Fall beschrieb mir einmal eine Person, dass sie Zahlen sensorisch am Körper wahrnimmt. Die 40 nimmt sie an einem ihrer Knie wahr, die 50 unter einer ihrer Fersen.
Für viele dieser Synästhesien wird das Kriterium der Konstanz weniger streng angewendet. Hat z.B. eine Person bei bestimmten Gefühlen, wie z.B. Wut oder Freude einen bestimmten Farbeindruck, so kann dieser von Mal zu Mal variieren, da zwei Gefühle ja selten exakt gleich sind und deren Erlebensqualität zudem auch von der Tagesform abhängt. Gleiches gilt auch für die synästhetische Wahrnehmung von Schmerz. Man tut sich nicht immer an der gleichen Stelle weh und auch die Intensität und die persönliche aktuelle Schmerztoleranz sind nie exakt gleich.
MISOPHONIE
Eine spezielle und unangenehme Art einer Gefühls-Synästhesie ist die Misophonie. Hierbei bewirken Geräusche, die oft mit Mund und Essen assoziiert werden, bei den Synästhet:innen stark aversive Reaktionen. Hierzu gehören nicht nur solche Geräusche, die allgemein als unschön betrachtet werden, wie z.B. Schmatzen, Aufstoßem oder Schlürfen, sondern auch knackiges Abbeißen von festem Obst und Gemüse, das Kauen auf Knochen oder auch ein anerkennend genussvolles „Hmmmm!“, wenn es schmeckt. Personen mit Misophonie beschreiben als erlebte Reaktion z.B., dass sie von den Geräuschen aggressiv werden, aus der Haut fahren möchten und sich innerlich anspannen.
(weitere Infos folgen)
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